Als er [Gauß] in Königsberg ankam, war er vor Müdigkeit, Rückenschmerz und Lange-
weile
fast besinnungslos. Für einen Gasthof hatte er kein Geld, also ging er gleich zur
Universität
und ließ sich von einem dumpf blickenden Pedell den Weg beschreiben.
Wie alle hier
sprach der Mann einen wunderlichen Dialekt, die Straßen sahen fremd
aus,
die Geschäfte hatten unverständliche Schilder, und das Essen aus den Schenken
roch nicht wie Essen. Noch nie war er so weit von daheim gewesen.
...
Gauß folgte ihm zögernd durch einen kurzen und dunklen Flur in ein kleines Zimmer.
Er brauchte einen Moment, bis seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten
und er ein verhängtes Fenster, einen Tisch, einen Sessel und darin einen in Woll-
decken gewickelten, reglosen Zwerg sehen konnte: wulstige Lippen, vorspringende
Stirn, eine scharfe, dünne Nase. Die halbgeöffneten Augen wandten sich ihm nicht zu.
Die Luft war so stickig, daß man kaum atmen konnte. Mit heiserer Stimme fragte er,
ob das der Professor sei.
Wer sonst, sagte der Diener.
...
Mit gedämpfter Stimme erklärte er sein Anliegen. ... Ihm scheine nämlich, daß der euklidische
Raum eben nicht, wie es die Kritik der reinen Vernunft behaupte, die Form unserer
Anschauung selbst und deshalb aller möglichen Erfahrung vorgeschrieben sei,
sondern vielmehr
eine Fiktion, ein schöner Traum. ... Nur eines sei sicher:
Der Raum sei faltig, gekrümmt und sehr seltsam.
...
Er ging in die Hocke, so daß sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem des Männchens
war. Er wartete. Die kleinen Augen Augen richteten sich auf ihn.
Wurst, sagte Kant.
Bitte?
Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen. /28/
Kant-Statue vor der Kaliningrader Universität.
Die von Marion Gräfin Dönhoff gestiftete Nachbildung von Harald Haacke
des Standbildes von Christian Daniel Rauch wurde am 27. Juni 1992 in der Nähe
ihres ursprünglichen Standortes wieder aufgestellt.