O Lissabon, du meine Heimstatt!
(Pessoa, 74)
Das ist Fernando Pessoa (1888 – 1935). Es ist sehr ungewöhnlich, dass der Platz neben ihm frei ist. Meist drängen sich dort die Leute, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Sie missdeuten seine Handbewegung als Einladung; er will aber allein sein.
In diesem kleinen Reisebericht zitiere ich aus seinem „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares„, passende Reiselektüre für einen Lissabonaufenthalt.
Die Reise beginnt in Berlin-Schönefeld.
Wir sind sehr früh am Flughafen. Bei der Gepäckabgabe ist es herrlich leer. Wir brauchen keine 10 Minuten anzustehen, bis man uns mitteilen kann, dass Koffer für den Flug nach Lissabon erst in einer Viertelstunde angenommen werden.
Wir setzen uns wenige Meter vom Flughafengebäude entfernt auf eine Bank. Am Abend vor einer Urlaubsreise überprüfen wir immer unsere Koffer anhand einer Checkliste. Diese Liste enthält all diese Dinge, die wir irgendwann einmal im Urlaub vermisst haben, Korkenzieher, Ohrstöpsel, ein Fernglas und solches Zeug. Seit einigen Jahren enthält diese Zusammenstellung auch das Stichwort „Sitzunterlagen“. Wir haben es auch vor unserer Lissabon-Reise nicht geschafft, in einem Outdoorladen nach solchen Hämorrhoidenbremsen zu fragen. Gestern abend hat es Gabi gereicht, kurz entschlossen bastelte sie im Keller zwei handliche, zusammenklappbare Unterlagen aus Schaumstoff. „In Lissabon brauchen wir die Dinger nicht“, meinte ich. Damit werde ich bestimmt recht haben, aber die Bank in Schönefeld ist nass und es tut gut, die Unterlagen dabei zu haben. Mit trockenem Hintern können wir das Flughafenumfeld gut beobachten.
Taxis entladen ihre Fahrgäste. Ein Engländer hat es besonders eilig auszusteigen. Einige Schritte weiter hätte er schon gehen können, er kotzt in den Busch hinter unserer Bank. Das Nachtleben in Berlin soll ja ganz ordentlich sein. Später kommt eine Sammlerin mit drei großen Aldi-Tüten voller Pfandflaschen. Sie versteckt ihre Schätze in der Hecke und setzt mit leeren Tüten ihre Jagd fort.
Ich empfand plötzlich so etwas wie Zärtlichkeit für diese Menschen. Eine Zärtlichkeit wie man sie für die allgemeine menschliche Mittelmäßigkeit empfindet, für das Banal-Alltägliche des Familienoberhaupts, das zur Arbeit geht, für sein schlichtes und fröhliches Heim, für die heiteren und traurigen Vergnügen, aus denen sein Leben notgedrungen besteht, für die Unschuld eines Lebens ohne Analyse … Sie gehen ihren Weg und legen dabei einer wie der andere Verhalten zutage, die Bewusstsein ausdrücken, und haben von nichts Bewusstsein, da ihnen nicht bewusst ist, dass sie Bewusstsein haben.
(Pessoa, 70)
Gabi hat wieder etwas Pech mit ihrem Platz. Neben ihr sitzen zwei Hochgeschwindigkeitssprecherinnen, die sich viele Jahre nicht gesehen haben. Die lautstark ausgetauschten Neuigkeiten nehmen kein Ende und Gabi wird in Lissabon all die Seiten noch einmal lesen müssen, auf die sie sich jetzt versucht zu konzentrieren.
Neben mir sitzt ein älteres Ehepaar, Engländer vielleicht und (natürlich) wesentlich älter als ich. Beide haben eine schwache Blase und halten mich in Bewegung. Aus Gründen der Bequemlichkeit werden irgendwann die Schuhe ausgezogen. In Easyjetflugzeugen ist es eng und als der Mann erneut die Toilette aufsuchen muss, spart er sich das Anziehen der Schuhe und er geht auf Socken ins Kabuff. Nicht ganz trockenen Fußes kehrt er zurück. Das erinnert mich an eine Zugfahrt von Kiew nach Saporoshje. Dort hätte man Gummistiefel gebraucht, um die Toilette nutzen zu können. Das ist aber viele Jahre her, ich habe inzwischen ein recht erfolgreiches Training zur Vermeidung von Toiletten in Transportmitteln hinter mir.
Hier werden wir es zwei Wochen aushalten. Von unserer Terrasse haben wir weite Blicke über die Stadt und den Tejo.
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