Posts Tagged ‘Lissabon’

Zwei Wochen in Lissabon (5)

Mittwoch, Oktober 9th, 2013

Lisboa 090

Heute eroberten wir spiralförmig den Burgberg (Castelo de São Jorge). Unser Ausflug dauerte sieben Stunden.

Lisboa 093

Lisboa 094

In der Geschichte der Sträßchen von Lissabon gab es eine Zeit, in der sich hinter geschlossenen Türen etwas ziemlich Ungewöhnliches zutrug. Die Leute, die sich auf der Straße begegneten, wussten nicht so recht, woher die Seufzer kamen, die eine lärmende Schar, eingeschlossen in vier Wänden, von sich gab. Es ging um ein krankhaftes Bedürfnis, ein Leben zu führen, wie es nur Dichter kennen – ein Spaziergang durch die Parallelwelt der Schlafwandler, die in unsere Zeiten einfielen.
(Claudia Galhos, In den Nebeln des Castelo de Sao George)

Lisboa 087

Lisboa 082

Lisboa 080

Im Reiseführer steht, dass sich die Schauspieler in Lissabon vor einer Aufführung „Viel Scheiße“ (muita merda) zurufen. Wenn früher viele Pferdekutschen vorfuhren, war das Theater gut gefüllt. Die Einnahmen der Theatermacher waren direkt proportional zur Anzahl der Pferdeäpfel auf dem Theatervorplatz.
Bei unseren Spaziergängen durch Lissabon würden wir uns „Wenig(er) Scheiße“ wünschen, dabei geht es heute nicht mehr um Pferdemist, sondern um Hundekacke.
So viele Hundehaufen gibt es nicht mal auf den viel breiteren Fußsteigen in Neukölln.
Die Anzahl der Hundehaufen ist indirekt proportional zur Spaziergangslust.

Wie das hier mit der Müllabfuhr geregelt ist, haben wir noch nicht herausbekommen. An jeder Straßenecke, vor manchen Haustüren stehen Mülltonnen. Daneben liegen Müllsäcke, die immer mehr werden, bis sie plötzlich weg sind. Kommt nachts ein bucklicht Männlein? Natürlich sind die Müllsäcke nicht immer gut verschlossen oder werden auf die eine oder andere Art beschädigt. Der herausquellende Unrat verteilt sich auf den Straßen. Diesen Mist räumt nur der Regen weg, nein, um.

Wir wissen immer noch nicht, wohin mit unserem Müll. Sollen wir ihn auch dem bucklicht Männlein anvertrauen oder dem Regen? Heute hat es zwei Stunden geregnet. Die Straßen glänzen, sind aber nicht sauber.

Obwohl unserer Apartment im Dachgeschoss (5. Etage) sich tagsüber kräftig aufheizt, müssen wir mit geschlossenen Fenstern schlafen. Die Flugzeuge donnern auch nachts über die Altstadt (wir wohnen im Bezirk Baixo Alto), die große Brücke über den Tejo brummt vor sich hin und die Kneipen in unserer Straße haben bis frühmorgens geöffnet. Die Gespräche der angeheiterten Gäste dringen bis in unserer Schlafzimmer vor.

Lisboa 077

Ich werfe die leere Streichholzschachtel in den Abgrund der Straße, über das Sims meines hohen balkonlosen Fensters. Ich erhebe mich von meinem Stuhl und lausche. Deutlich, als habe dies etwas zu bedeuten, hallt die Streichholzschachtel auf der Straße wider, und ich weiß, sie ist menschenleer. Kein anderes Geräusch ist vernehmbar, nur der Geräuschpegel der Stadt.
(Pessoa, 102)

Lisboa 075

Ein Sonnenuntergang ist ein intellektuelles Phänomen.
(Pessoa, 75)

Zwei Wochen in Lissabon (4)

Dienstag, Oktober 8th, 2013

Lisboa 073

Das ist ein kleines Restaurant ganz nach unserem Geschmack. Nur wenige Tische, wir können uns direkt unter den Fernsehapparat setzen, der hier in jedem einfachen Restaurant ständig läuft. Das Kneipchen ist gut gefüllt, die Einheimischen beachten uns nur so lange bis wir uns gesetzt haben, dann haben sie wieder freien Blick auf die Ereignisse in fernen Ländern. Wir gewöhnen uns schnell daran, dass zwar alle in unsere Richtung gucken, aber trotzdem nicht an uns interessiert sind.

Eine Speisekarte gibt es natürlich nicht. Nach einigen Verständigungsversuchen gibt der Kellner auf und holt den Koch. Damit hat sich das gesamte Personal um unseren Tisch versammelt. Der Koch kann einige Brocken Englisch und als ich Cod verstehe, sage ich ja, das ist gut, zweimal Cod, faz favor. Nur beim Bier lassen wir nicht mit uns handeln, nein, wir wollen keine Minibierflaschen, wir wollen gezapftes Bier und zwar Grande. Hinter der Theke zeigt uns der Kellner ein 0,4 l Glas und wir nicken zustimmend. Die Schlitzohren füllen doch tatsächlich den Inhalt von zwei kleinen Flaschen in ein Glas und servieren frisch gezapftes Bier. Was tut man nicht alles, um die Touristen zufrieden zu stellen.

Danach kommt eine Gruppe Spanier ins Lokal. Sie sehen die großen Biergläser auf unserem Tisch und wollen auch frisch gezapftes Bier. Der Kellner braucht eine Weile, um klarzustellen, dass sie nur Flaschenbier haben. Wir verstehen nichts und verstehen doch alles. Wir werden wohl die letzten gewesen sein, die ausnahmsweise Bier aus dem Hahn erhalten haben.

Jardim Botanico

Lisboa 053

Lisboa 066

Lisboa 061

Zwei Wochen in Lissabon (3)

Montag, Oktober 7th, 2013

If our lives are dominated by a search for happiness, then perhaps few acivities reveal as much about the dynamics of this quest – in all its ardour and paradoxes – than our travels. They express, however inarticulately, an understanding of what life might be about, outside the constraints of work and the struggle for survival.
(Alain de Botton, The Art of Travel)

Diesmal haben wir das Fernglas nicht vergessen (steht ja auf der Checkliste), Morgenbeobachtungen bei Sonnenaufgang, Lissabon erwacht.

Die Tagessonne erwärmt die stillstehende Oberfläche unserer Sinne.
(Pessoa, 78)

Lisboa 004

Pessoa ist hier allgegenwärtig. Sogar über unserem Bett ist ein Ausspruch von ihm in die Wand gekratzt: „Tudo vale a pena quando a alma não é pequena“ . Ich werde schon noch herausbekommen, was das heißt.

Lisboa 038
Eben verlässt die COSTA FORTUNA mit ihren ca. 2700 Passagieren den Lissabonner Hafen in Richtung Valencia.

Die Fußsteige sind hier mit diesen kleinen quaderförmigen Steinen gepflastert wie wir sie auch auch in Königs Wusterhausen kennen, allerdings muss es eine andere Art Gestein sein. Die Steine glänzen und sind sehr glatt. Bei Nässe sicher gefährlich glatt, aber das werden wir in diesem Urlaub nicht genauer untersuchen können, denn Regen wird es nicht geben.
(Mit dieser Annahme lag ich voll daneben. Wir konnten recht oft die Rutschfestigkeit unserer Schuhe auf diesem Pflaster testen: gut gerutscht, aber nichts gebrochen.)

Angeblich kamen die Lissabonner nach dem Erdbeben 1755 auf die Idee, aus den Trümmern kleine Pflastersteine herzustellen, und Plätze und Fußwege kunstvoll zu gestalten. Von den berühmten Calceteiros, den Pflastermachern, gibt es heute nur noch knapp dreißig – mehr als zehnmal weniger als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu aufwändig und teuer ist das Anlegen von Mosaiken, die Calceteiros werden heute fast nur noch für Ausbesserungsarbeiten eingesetzt.

Lisboa 028
Heute in Cascais haben wir Luiz de Camoes wiedergesehen. Schön, Bekannte zu treffen; diesmal ist das andere Auge verletzt.

Lisboa 037

Lisboa 034

Lisboa 029

Zwei Wochen in Lissabon (2)

Sonntag, Oktober 6th, 2013

Das gehört für mich zum Urlaub dazu: jeden Morgen Schrippen holen. Die Urlaubsunterkunft wird so ausgewählt, dass Schrippenholen und Frühsport eine Urlaubseinheit bilden. Diesmal sind es 78 Stufen unterschiedlicher Höhe in einem engen Treppenhaus, also 78 runter und 78 wieder rauf. Runter hat heute schon gut geklappt, hoch muss ich noch etwas üben.

So war Lissabon. Ein Zentrum, die Baixa [NKS: da haben wir gewohnt], die sich für kosmopolitisch hielt, und ein paar mehr oder weniger außerhalb gelegene Viertel, die im Allgemeinen durch eine einzige Straße mit der Stadtmitte verbunden waren, eine Nabelschnur mit gemächlich rumpelnder Straßenbahn.
(Maria Isabel Barreno, Lissabon durch die Jahrhunderte.)

Lisboa 026

Normalerweise kümmern wir uns nicht um den öffentlichen Nahverkehr, aber wenn man zwei Wochen Zeit hat, möchte man jeden Winkel der Stadt kennen lernen. Das Tarifsystem in Lissabon ist auch für den erfahrenen Großstädter nicht trivial. Am Besten man kauft sich eine Wiwa Wiascheng (so wird es ungefähr ausgesprochen) Chipkarte für 50 Cent, diese Karte ist aufladbar und nutzbar in der Metro, in den Straßenbahnen und in den Bussen. Für die Vorortzüge und für die Fähren muss man andere Fahrkarten kaufen, die aber auch auf solchen Karten gespeichert werden. Nur mit Viva Viagem Chipkarten kann man die elektronischen Zugangssperren überwinden.
Am Ende der Reise werden wir von diesen Karten eine ganze Sammlung haben, weil wir nie die passende Karte dabei hatten, wenn wir uns entschieden, den Fußweg mit einer Fahrt im öffentlichen Verkehrsmittel abzukürzen … und uns einfach hinten auf das Trittbrett zu stellen, trauten wir uns dann doch nicht (mehr). Vor vielen Jahren in Chemnitz (und als ich aufsprang in Karl-Marx-Stadt) bei der Linie 3 nach Rottluff war das kein Problem. Man musste nur aufpassen, dass der Schaffner im anderen Waggon war.

Lisboa 021
Vorn: anstellen, einsteigen und bezahlen; Hinten: warten, aufsteigen und gut festhalten
Viva Viagem
Los geht’s ohne Viva Viagem

2600 Restaurants soll es in Lissabon geben. Wir haben Hunger und sind bei unserem Spaziergang in einer Gegend ohne Restaurants gelandet. Das ist immer so zu Urlaubsbeginn. Dann hat es doch noch geklappt und wir waren mit den selbst ausgewählten Fischen vom Grill zufrieden. Nur mit dem Bier müssen wir aufpassen, das wird doch tatsächlich, wenn man nichts sagt, in Kölsch-Gläsern serviert. Der arme Kellner, das ist ja ein einziges Hin- und Hergerenne.

Lisboa 017
Das ist Luiz de Camoes. Er verlor in einer Schlacht gegen die Mauren sein rechtes Auge.

Heute besuchten wir en passant den Palacio de São Bento. Dort ist seit 1894 der Sitz des portugiesischen Parlaments. Es muss Tag der offenen Tür gewesen sein:

Lisboa 024

Im Atrium sahen wir eine seltsame Büste. „Dieser Einäugige ist Luiz de Camoes, unser Nationaldichter“, sagte ein Parlamentsdiener. Mal sehen, ob ich nachträglich Bildungsurlaub beantragen kann, wenn ich nachweisen kann, die Lusiaden gelesen zu haben:

Hört auf denn, von den weiten Meeresfahrten
des schlauen Griechen, des trojan’schen Helden;
hört auf, vom Ruhme der erkämpften Siege
Trajans und Alexanders noch zu reden!
Denn vom erhabenen Mut der Lusitanen,
dem Mars und Neptun sich gebeugt, sing ich.

Die Lusiaden sind die Bewohner Lusitaniens, der römische Name für Portugal, der auf Lusus, einen Gefährten des Bacchus zurückgehen soll.

Lisboa 015
Blick von der Parlamentsterrasse auf die Stadt

Lisboa 019
Strength – Skulptur im Parlamentsgarten, Künstler unbekannt

Lisboa 018
Justice – Skulptur im Parlamentsgarten, Künstler unbekannt

Zwei Wochen in Lissabon (1)

Samstag, Oktober 5th, 2013

O Lissabon, du meine Heimstatt!
(Pessoa, 74)

Lisboa 001
Das ist Fernando Pessoa (1888 – 1935). Es ist sehr ungewöhnlich, dass der Platz neben ihm frei ist. Meist drängen sich dort die Leute, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Sie missdeuten seine Handbewegung als Einladung; er will aber allein sein.
In diesem kleinen Reisebericht zitiere ich aus seinem „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares„, passende Reiselektüre für einen Lissabonaufenthalt.

Die Reise beginnt in Berlin-Schönefeld.
Wir sind sehr früh am Flughafen. Bei der Gepäckabgabe ist es herrlich leer. Wir brauchen keine 10 Minuten anzustehen, bis man uns mitteilen kann, dass Koffer für den Flug nach Lissabon erst in einer Viertelstunde angenommen werden.

Wir setzen uns wenige Meter vom Flughafengebäude entfernt auf eine Bank. Am Abend vor einer Urlaubsreise überprüfen wir immer unsere Koffer anhand einer Checkliste. Diese Liste enthält all diese Dinge, die wir irgendwann einmal im Urlaub vermisst haben, Korkenzieher, Ohrstöpsel, ein Fernglas und solches Zeug. Seit einigen Jahren enthält diese Zusammenstellung auch das Stichwort „Sitzunterlagen“. Wir haben es auch vor unserer Lissabon-Reise nicht geschafft, in einem Outdoorladen nach solchen Hämorrhoidenbremsen zu fragen. Gestern abend hat es Gabi gereicht, kurz entschlossen bastelte sie im Keller zwei handliche, zusammenklappbare Unterlagen aus Schaumstoff. „In Lissabon brauchen wir die Dinger nicht“, meinte ich. Damit werde ich bestimmt recht haben, aber die Bank in Schönefeld ist nass und es tut gut, die Unterlagen dabei zu haben. Mit trockenem Hintern können wir das Flughafenumfeld gut beobachten.

Taxis entladen ihre Fahrgäste. Ein Engländer hat es besonders eilig auszusteigen. Einige Schritte weiter hätte er schon gehen können, er kotzt in den Busch hinter unserer Bank. Das Nachtleben in Berlin soll ja ganz ordentlich sein. Später kommt eine Sammlerin mit drei großen Aldi-Tüten voller Pfandflaschen. Sie versteckt ihre Schätze in der Hecke und setzt mit leeren Tüten ihre Jagd fort.

Ich empfand plötzlich so etwas wie Zärtlichkeit für diese Menschen. Eine Zärtlichkeit wie man sie für die allgemeine menschliche Mittelmäßigkeit empfindet, für das Banal-Alltägliche des Familienoberhaupts, das zur Arbeit geht, für sein schlichtes und fröhliches Heim, für die heiteren und traurigen Vergnügen, aus denen sein Leben notgedrungen besteht, für die Unschuld eines Lebens ohne Analyse … Sie gehen ihren Weg und legen dabei einer wie der andere Verhalten zutage, die Bewusstsein ausdrücken, und haben von nichts Bewusstsein, da ihnen nicht bewusst ist, dass sie Bewusstsein haben.
(Pessoa, 70)

Gabi hat wieder etwas Pech mit ihrem Platz. Neben ihr sitzen zwei Hochgeschwindigkeitssprecherinnen, die sich viele Jahre nicht gesehen haben. Die lautstark ausgetauschten Neuigkeiten nehmen kein Ende und Gabi wird in Lissabon all die Seiten noch einmal lesen müssen, auf die sie sich jetzt versucht zu konzentrieren.
Neben mir sitzt ein älteres Ehepaar, Engländer vielleicht und (natürlich) wesentlich älter als ich. Beide haben eine schwache Blase und halten mich in Bewegung. Aus Gründen der Bequemlichkeit werden irgendwann die Schuhe ausgezogen. In Easyjetflugzeugen ist es eng und als der Mann erneut die Toilette aufsuchen muss, spart er sich das Anziehen der Schuhe und er geht auf Socken ins Kabuff. Nicht ganz trockenen Fußes kehrt er zurück. Das erinnert mich an eine Zugfahrt von Kiew nach Saporoshje. Dort hätte man Gummistiefel gebraucht, um die Toilette nutzen zu können. Das ist aber viele Jahre her, ich habe inzwischen ein recht erfolgreiches Training zur Vermeidung von Toiletten in Transportmitteln hinter mir.

Zwitschern in Lissabon
Hier werden wir es zwei Wochen aushalten. Von unserer Terrasse haben wir weite Blicke über die Stadt und den Tejo.

Lisboa 008

Lisboa 007

Lisboa 003