Archive for Januar, 2016

Jahreswechsel in Apulien (7)

Samstag, Januar 23rd, 2016

Apulien011

Es ist eine rechte Wonne, diese apulische Wildnis … und den ätherreinen Himmel strahlen zu sehen. Es sind wirklich Flammenpfeile, die Helios hier versendet; aber sie beschädigen nicht, wenigstens noch nicht im Mai. Das Licht dieses Himmels berauscht die Seele wie Trank perlenden Weins: man schlürft und atmet es gierig ein; es zehrt die Nebel im Gemüt auf, jene giftigen Dünste, welche in den Nordlandmenschen grundlose Stimmungen erzeugen, Qualen der Einbildung, den Spleen und den Weltschmerz und den verzweifelten Humor.
(Ferdinand Gregorovius)

Apulien001
Streetart in Bari

Apulien, im Mai kommen wir wieder!

Jahreswechsel in Apulien (6)

Mittwoch, Januar 20th, 2016

Apulien165

Ceroli-Pferd in Bari

Jahreswechsel in Apulien (5)

Dienstag, Januar 19th, 2016

Apulien190

Der heilige Nikolaus wurde zwangsweise als Schutzpatron der Stadt Bari verpflichtet. Die Gebeine des Heiligen wurden 1097 im türkischen Myra von barisischen Matrosen geraubt und in ihre Heimatstadt gebracht, die bis dahin keinen eigenen Schutzpatron gehabt hatte.

Apulien182

Apulien184

In der Altstadt gibt es die wunderschöne, mittelalterliche Basilika San Nicola, eines der schönsten romanischen Bauwerke Europas (und damit der Welt), die – wie die Reiseführer schreiben – allein schon eine Reise wert ist. Aber der heilige Nikolaus ist vor allem bei den Orthodoxen sehr beliebt. Paolo Rumiz schreibt, dass alle Russen Bari sofort auf der Landkarte finden, und zwar wegen dem heiligen Nikolaus.
(Gianrico Carofiglio in „Eine Nacht in Bari“)

Apulien297

Apulien298

Portale und Kapitelle der Basilika San Nicola in Bari

Apulien187

Apulien188

Pollockmania

Montag, Januar 18th, 2016

Mural4

Da hängt sie, die legendäre Leinwand, das berühmteste, größte Werk Jackson Pollocks: lang, breit und schief. Je intensiver man auf das 605 mal 247 Zentimeter große abstrakte Gemälde blickt, desto wilder erscheinen die Kreaturen, die ihm entsteigen. Längliche schwarze Figuren, zum Leben erwachte Totems schreiten plötzlich von der rechten zur linken Seite, die schlanken Bäuche vorgewölbt. Über sie legen sich skripturale grünliche Zeichen, die ihren eigenen Tanz aufführen. Das Ganze vermengt sich zum wilden all-over-painting, aus dem signalgelbe Lichtzeichen auflodern.
(mehr hier im Tagesspiegel)

Mural1

Jahreswechsel in Apulien (4)

Sonntag, Januar 17th, 2016

Apulien228

Domenico Modugno ist der berühmte Sohn der Stadt Polignano a Mare. An der Uferpromenade gibt es ein überlebensgroßes Bronzedenkmal des Schlagersängers, Entertainers und Komponisten. Der große Domenico steht mit ausgebreiteten Armen da und schmettert ein Lied, bestimmt sein bekanntes „Voltare“. Kennt doch jeder, sogar ich.

Apulien230

Jeder kleine Italiener, möchte mit diesem Domenico fotografiert werden. Es macht Spaß, eine Weile zuzuschauen, wenn sich Damen und Herren aller Altersklassen mit ausgebreiteteten Armen vor das Denkmal stellen und das Maul aufreißen. Schwierig wird es für Selfiemaker. Man setzt sich auf den Denkmalsockel, bereitet das Smartphone vor – Selbstauslöser! – klemmt den Stick unter Zeitnot zwischen die Knie, reißt die Arme auseinander und wundert sich mit offenem Schlagermund, wie der Stick nicht zu halten ist und kurz vor dem Pflasterfall den blauen Himmel fotografiert.

Apulien232

Flavin bei Bastian

Samstag, Januar 16th, 2016

Dan Flavin

Die Galerie Bastian zeigt ausgewählte Lichtinstallationen des amerikanischen Künstlers Dan Flavin (1933 – 1996), der zu den bedeutendsten Protagonisten der Lichtkunst und des Minimalismus der Nachkriegsmoderne zählt.
Ausgangspunkt von Flavins Arbeit ist die Betrachtung der atmosphärischen und farblichen Wirkung elektrischen Lichts. Dan Flavin verwendet industriell hergestellte Leuchtstoffröhren in genormten Farben und standardisierten Maßen – ein vorgefundenes konventionelles Produkt, das er in variierenden Konfigurationen und Kontexten anordnet und damit seine ursprüngliche triviale Funktionalität neu deutet, ohne die physische Beschaffenheit zu ändern. Seine ersten Werke aus den frühen sechziger Jahren, die wir als Hommage an Künstler wie Brancusi und Tatlin verstehen können, begründen wegweisende Serien von Rauminstallationen, „Vorschlägen“ und „Situationen“ (Flavin) aus fluoreszierendem Licht. Flavin entwickelt ein System von Anordnungen elementarer Formen, die aus geradlinigen Wandobjekten bestehen. Seine Werke verändern die Wahrnehmung des Ausstellungsraumes, dessen ›Leere< sich in einer besonderen Lichterscheinung erfahren lässt. Diese illusionistische Kraft des künstlichen Lichts scheint den plastischen Charakter der Leuchtstoffröhren aufzuheben: Flavins Werke wirken wie immaterielle Erscheinungen im Raum.
(Presseinformation)

Jahreswechsel in Apulien (3)

Freitag, Januar 15th, 2016

Ich kenne Leute, die mögen Octopus nicht. Ich meine nicht solche, die sich selbst mit psychologischer Betreuung niemals an einen Tisch setzen würden, auf dem ein Meeresfrüchtecocktail steht, sondern eher die, die behaupten, schmeckt doch nicht, Octopus sei zäh wie Gummi. Richtig zubereitet ist Octopus ganz zart.

Höchststrafe

Wir haben heute in Bari zugesehen wie ein großer Octopus (ca. 60 cm lang) zart gemacht wird. Eigentlich braucht es nur einen kräftigen Fischer und einen steinernen Kai. Zuerst haben wir es nur gehört, das Geräusch eines klatschenden Körpers. Ein Fischer schlägt das Tier viele, viele Male kräftig auf den Steinboden, dann wird der Körper des Kraken ausdauernd mit einer Art Holzpaddel geklopft. In Bari werden die Kraken so lange geschlagen und geklopft, daß sie in eine blüten-ähnliche Form fallen.
Kleine Exemplare kommen in ein geschlossenes Behältnis und werden immer wieder bewegt. Diese Tiere können dann roh mit Zitrone gegessen werden, eine Portion Octopus geschüttelt, nicht gerührt, sozusagen.
Wir haben uns auch heute noch nicht auf eine Verkostung eingelassen.

Apulien199

Apulien096

Die Muscheln gestern abend haben ganz ausgezeichnet geschmeckt, deshalb haben wir nicht lange gezögert und im ersten besten Fischladen (von denen es hier wirklich an jeder Ecke einen gibt) für unser Silvestermahl eingekauft, natürlich Pulpo (500 g) und Kabeljau (800 g). Orecchiette haben wir bisher im Restaurant noch nicht gesehen, deshalb haben wir uns die Nudeln selbst besorgt. Zu diesen Nudeln isst man hier Stängelkohl. In Deutschland wird er nur regional oder gelegentlich auf Marktplätzen, oder z. B. bei türkischen Gemüseläden unter dem Namen Rappa angeboten. Den haben wir auch gekauft. Der Händler erkannte in uns Touristen und zerlegte für uns einen Kohl küchenfertig, weil wir diesen Kohl in Deutschland ja nicht kennten. Die Händler sind alle sehr freundlich, obwohl wir auf italienisch kaum bis zehn zählen können. Sie lesen uns unsere kulinarischen Wünsche von den Augen ab.
Jetzt müssen wir aus den gekauften Zutaten nur noch ein Essen zaubern, das uns zufrieden in das Jahr 2016 gleiten lässt.

Apulien252

Wer spricht?

Donnerstag, Januar 14th, 2016

For WHO’S SPEAKING? Müller has conceived new versions of two figures – Hermes and Hermaphroditos – who weave a web of references and connections between the individual works, and accompany the viewer throughout the exhibition. As the voice in a new sound installation, the protagonist of a video, or as a figurative sculpture that reverses the relationship between work and viewer, these two figures from Greek mythology appear in both expected and unexpected places, and link the content of the exhibition’s two floors formally.
(more here and here)

2016010923

Michael Müllers erste institutionelle Einzelausstellung WER SPRICHT? bringt Werke der vergangenen Jahre mit eigens für die Ausstellung entwickelten Neuproduktionen zusammen, die sich auf unterschiedliche Weise der Frage nach künstlerischer Autorschaft stellen.

„Wer spricht?“ bedeutet aus Müllers Perspektive auch: „Was wird gesagt?“ und „Warum wird gesprochen?“; aber auch „Wer hört zu?“ Die gezeigten Arbeiten gehen immer wieder neu von der Frage aus, inwieweit ein Künstler in seinen Werken selbst sichtbar wird. Jedes einzelne Werk verortet sich im Spannungsverhältnis von Anwendung oder Umformung historischer wie gegenwärtiger künstlerischer Codes und den persönlichen Obsessionen des Künstlers

2016010928

2016010924
Fliegende Schnecke

Der Kubist Marcel Duchamp mag nicht malen

Jahreswechsel in Apulien (2)

Mittwoch, Januar 13th, 2016

Apulien028

»Also, Jungs, zuerst einmal gehen wir essen. Und dann ziehen wir um die Häuser und zeigen dem Mann aus Chicago, wie Bari sich in den letzten Jahren verändert hat. Und dass wir anderen Städten in nichts nachstehen.«
(Gianrico Carofiglio in „Eine Nacht in Bari“)

Apulien107

Unser Apartment ist eine Art Panikraum innerhalb des Wohnblocks. Es gibt keine Fenster zur Straße. Im Klo und im Schlafzimmer ist jeweils ein (vergittertes) Fenster zum Hausflur. Die Fenster sind von außen nur mit einer Leiter zu erreichen. Die Eingangstür zum Apartment ist aus Metall. Zwei normale Türen führen auf einen kleinen Balkon mit Blick auf einen chaotischen Hof. Überall hängt Wäsche. Die Wäsche ist abgedeckt mit riesigen Planen. Die Balkontüren sind mit eisernen Gittertüren, die zusätzlich aufgeschlossen werden müssen, gesichert. Wir fühlen uns sicher und hoffen, dass wir, immer wenn wir Kunstspaziergänge unternehmen wollen, die passenden Schlüssel finden.

Treppenhaus

Balkonblick nach oben

Eigentlich wollten wir Orecchiette essen, aber das gab es in der kleinen Bar Frederico II nicht. Mit einer Pizza kann man auch in Bari nichts falsch machen. Zuvor haben wir noch bei den Straßenhändlern vorbeigeschaut. Die Händler verkaufen frische Austern, weich geklopfte Tintenfische, Seeigel, Miesmuscheln und Meeresnüsse. Alles wird roh und mit viel Zitronensaft angeboten. Noch haben wir uns nicht getraut. Hier gibt es viele Fischgeschäfte. Zwei Behälter mit ausgelösten Muscheln haben wir in unser Apartment getragen. Heute abend müssen wir uns eine Zubereitungsart einfallen lassen.

Apulien257

Wir wohnen in der Neustadt, ein Viertel, das unter Vorgabe strenger Regeln gebaut wurde, die Straßen sind entweder parallel oder schneiden sich in einem rechten Winkel. Der Abstand zwischen je zwei parallelen Straßen ist überall nahezu gleich. Es entstehen quadratische Wohnquartiere. Eine ähnliche Bauweise habe ich bisher nur in Mannheim gesehen. Das Viertel heißt Borgo murattino nach Joachim Murat, einem Schwiegersohn von Napoleon, der diesen Stadtteil 1813 per Dekret begründete.

Apulien198

Heute sieht man am Ende der Straßen nicht mehr das Meer, denn seit 1891 haben sich neue Stadtteile rings um das ursprüngliche Rechteck gebildet; noch dazu behindert der Verkehr die Aussicht, und darüber hinaus die Atmung. Aber nachts, sonntagnachmittags oder an manchen Feiertagen, wenn kein Verkehr ist und die Straßen leer sind, hat man noch heute ein Gefühl für die Geradlinigkeit vorhersehbarer Strecken und die überschaubaren Abzweigungen, von denen der französische Schriftsteller spricht. Paradoxerweise hat man gerade in diesen Momenten oft das unheimliche, schwindelerregende Gefühl, sich auf instabilen Fluchtlinien zu befinden, die ins Unbekannte führen.
(Gianrico Carofiglio in „Eine Nacht in Bari“)

Apulien193

Es bleibt nachzutragen, dass es die Muscheln am Abend in einem Weißweinsud gab.

Fliegende Schnecke

Dienstag, Januar 12th, 2016

2016010925

Nach dem Regen ging Natalie in der Nachbarschaft Schnecken suchen. Unweit ihrer Wohnung fand sie ein paar, die auf dem Gehsteig unterwegs waren, langsam wie Kometen. Sie pflückte sie und setzte sie unter einige Büsche. Den Schnecken schrumpften darüber die Fühlerantennen ein, ihr Kopf wurde rund und blind, sie duckten sich zurück in ihre Häuser. lm Grunde war ein solches Verpflanztwerden vollkommen unverständlich, nichts in ihrer Natur konnte sie darauf vorbereiten. Zuerst war man hier, dann plötzlich da, ein Glitch, ein Sprung-Fehler in der Zeit. Natalie fragte sich, ob es prinzipiell möglich war, einer Schnecke eine Wohltat zu erweisen, die diese als solche wahrnehmen und auch mit dem Spender in Verbindung bringen würde. Wahrscheinlich nicht. Sie hatten nicht viel mit uns zu tun. Natalie bedankte sich bei den Schnecken, von denen manche sich unter dem tropfenden Buschblätterdach schon wieder zu entfalten begannen, und kehrte nach Hause zurück.
(Clemens J. Setz, aus: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre)