Endlich! Bei meinen vielen Hamburg-Aufenthalten habe ich es immer wieder versucht, die Sammlung Falckenberg in den Phoenix-Hallen in Harburg zu besichtigen. Jetzt hat es endlich geklappt. Aktuell ist die Ausstellung Installationen aus 25 Jahren Sammlung Falckenberg zu sehen. Ich konnte an einer Sammlungsführung mit Zugang zum Schiebelager und den Meese-Räumen teilnehmen.
Jon Kessler (*1957 Yonkers, USA)
The Palace at 4 A.M., 2005/07
Bilder aus Magazinen, Büchern und dem Internet bilden zusammen mit rund 180 Röhrenmonitoren, kleinteiligen kinetischen Apparaturen sowie kilometerweise Draht und Kabel eine spektakuläre Kulisse. Alles und jede*r wird zum Objekt der Überwachung und Gegenstand der Installation. Die Invasion des Iraks, den Sturz Saddam Husseins, aber auch die verheerenden Auswirkungen des Hurrikans Katrina und das danach herrschende administrative Chaos bringt Jon Kessler in The Palace at 4 A.M. in Zusammenhang mit der Politik des »Kriegs gegen den Terror«, den die Bush-Administration nach dem Attentat des 11. September 2001 ausrief. Herzstück der Arbeit ist One Hour Photo. Die Apparatur überträgt Postkartenansichten der Twin Tower auf Monitore im Raum. Ausgeworfen werden Bilder von bebenden Türmen, die an die TV-Bilder des Attentats erinnern. Andernorts finden sich Live-Bilder von einer Kamera, die Kessler auf dem Dach des Sammlungsgebäudes befestigen ließ. Sie ist zur nicht weit entfernt liegenden Marienstraße ausgerichtet, in der einer der Terroristen wohnte, und verankert Kesslers Arbeit inhaltlich auch auf konkreter geografischer Ebene mit dem Ausstellungsort. Wie Menschen unter dem Regime globaler Unterhaltung und imperialer Politik zurechtkommen, ist das vielleicht drängendste Problem, das Kessler hier aufwirft.
(Text von Isabel Abele)
Jonathan Meese (*1970, Tokyo, Japan)
La Chambre secrète de BALTHYS par Jonathan Meese, 2001
Der Vaterraum (Daddy), 2000
Die Ordensburg »Mishimoendk« (Toecutters Mütze), 2000
Das Werk des Künstlers Jonathan Meese umfasst Malerei, Collage, Zeichnung, Text, Installation, Skulptur, Performance und Bühnenbild. Der Künstler setzt sich darin zumeist mit deutscher Geschichte, Heldensagen und Mythen sowie seiner These der Diktatur der Kunst auseinander. Überfiguren aus Literatur, Philosophie und den Künsten wie Hegel, Wagner, Nietzsche, Hagen von Tronje sind bei Meese omnipräsent, dienen ihm als imaginäre. Daneben reihen sich Persönlichkeiten der Popkultur genauso wie Diktatoren der Weltgeschichte ein – auch der Künstler selbst setzt sich in endloser Wiederholung ins Bild.
Was bei Jonathan Meese einst als adoleszente Raumkoje mit Messie-Charakter begann (Ahoi de Angst, 1998), findet in den mit unzähligen Materialien und Referenzebenen bestückten, begehbaren Environments des Künstlers einen Höhepunkt. Hierfür stehen die sogenannten Meese-Räume der Sammlung Falckenberg, ein wuchernder Komplex aus mehreren Raumsystemen. 2001 widmete Meese dem umstrittenen Maler Balthasar Klossowski de Rola, genannt Balthus eine ganze Bilderserie, die in dieser metaphorischen Wohnung des Künstlers aufgeht. Das Zentrum des Ensembles bildet das Chambre secrète de BALTHYS par Jonathan Meese, eine Art Salon, der von dem 2001 entstandenen Gemälde Schach dem Balthys (Saalmüde Balthys) gekrönt wird, den gealterten Balthus beim Schachspiel mit seinem Bruder und Schriftsteller Pierre Klossowski zeigend. Nur wenige Schritte weiter geraten wir beim Gang durch die Räume in den Vaterraum, ein nicht weniger komplexer Organismus, der gespickt ist mit assoziationsreichen, biografischen Dokumenten und Erinnerungen des Vaters des Sammlers Harald Falckenberg. Sachlich wirkt dagegen der schwere Schreibtisch mit Telefon. Einige Stufen tiefer trifft man schließlich auf Die Ordensburg »Mishimoend« (Toecutters Mütze). Bezeichnet ist damit eine Installation aus Waschbecken und Spinden, die wie Schreine Personen wie Fritz Lang, Nero, Hitler, Alex DeLarge oder Caligula gewidmet sind und den Bogen zum früheren, ersten Ausstellungsort der Sammlung spannen: Dem Pump Haus, aus dem heraus Die Ordensburg entstand, als Meese für eine Ausstellung dort das bestehende Mobiliar des Gebäudes direkt mit einbezog. Die Meese-Räume bilden somit den Kosmos Jonathan Meese nicht nur in all seinen Facetten ab. Sie führen auch zurück zu den Anfängen der Sammlung Falckenberg.
(Text von Isabel Abele)