Posts Tagged ‘Zitat’

Menschenstatuen

Dienstag, November 8th, 2011

Meleager

Im Halbdunkel der Kerzen … erzählte er dir von den Menschenstatuen, die … die Menschheit mimten, die sich lebend stellten, denen gegen Morgen, wie sie da erstarrt auf dem Sockel in irgendeinem verfinsterten Park standen, die Marmorhaut weich zu werden begann, eine leichte Röte die Wangen samtig machte, ein schwarzer Aufguss die blinden Augen färbte, und die anfingen, sich zu bewegen und zu sprechen … Um vier Uhr morgens konnte man ihnen in den Straßen begegnen, auf der Suche nach irgendeinem Verspäteten, den sie zerschmetterten und dem sie die Kleider entrissen. Dann würden sie unter ihnen sein, unmöglich von den anderen zu unterscheiden …, du konntest mit ihnen … arbeiten, deine Tochter konnte einen von ihnen heiraten, aber eines Nachts würde er sich neben seiner drallen Blondine vom Bett erheben, im Vorbeigehen sein aufgerecktes, ganz und gar marmornes Geschlecht betrachten und, nur in den Mantel gehüllt und barfuß, hinaus auf die Straßen der Stadt gehen, um wieder in seinen Park zu gelangen, auf seinen Sockel, um dort für wer weiß wie viele Jahre zu erstarren.
(aus: Mircea Cartarescu Der Körper)

Netze über der Stadt

Mittwoch, Oktober 19th, 2011

Don't forget 2 go home

Auf der Stadt liegen zahllose Netze. Manche knüpft August selbst aus dem, was er auf den Gehwegen vorfindet: Kiefernzapfen, zu Flecken getretenen Kaugummis, Hundehaufen in all ihren Farben und Formen … Ebenso gern spürt er den Spuren nach, die Aufmerksamkeit suchende Unbekannte für ihn gestreut haben. Graffiti und Tags gefallen ihm, wenn sie tote Orte beleben, und er freut sich, bestimmte Signaturen immer wieder zu entdecken. Besonders gern sieht er Tags, die missglückt und damit aus der Monotonie ihrer Wiederholungen herausgehoben sind.
(aus: Albrecht Selge wach Rowohlt 2011)

Frust

VERM.PUNKT

Samstag, Oktober 8th, 2011

VP1

Den anderen Tag, in letzter Zeit immer häufiger, geht er zu Fuß. … Er gliedert den Weg nicht nach markanten Gebäuden und vielbefahrenen Kreuzungen, sondern orientiert sich an kleinen Knöpfen im Asphalt: in den Boden eingelassenen Plättchen, die wie ein dichtes Netz auf der Stadt liegen. Er geht, ohne aufzuschauen, von Punkt zu Punkt, die Plättchen liegen nah beieinander, es muss Abertausende geben, winzige oder etwas größere Kreise, selten auch Quadrate, aus Kupfer, Messing, Aluminium, in Fugen, Beton, zwischen Pflastersteinen, in versteckten Ecken und – noch verborgener – mitten auf der Fahrbahn, mal steht VERM.PUNKT darauf, mal MESSPUNKT, öfter sind sie von rosa Farbkreisen umgeben, aufgesprüht von Landvermessern … Täuschungen kommen auch vor, zwischen Pflastersteinen festgetretene Kronkorken etwa oder Centmünzen.
(aus: Albrecht Selge wach Rowohlt, 2011)

Bruch4
verhärmt

Bruch2
vergnügt

Bruch5
verstört

The act of walking … is a process of appropriation of the topographical system on the part of the pedestrian; it is a special acting-out of the place …
(aus: Michel de Certeau The Practice of Everyday Life)

Abenddämmerung

Donnerstag, Juni 30th, 2011

Nun war die Abendstunde da, die doch allen draußen auf
dem Meer ans Herz rührt, dass sie sich zurücksehnen nach
den vertrauten Freunden, denen sie am Morgen Lebewohl sagen mussten;
und die auch den Pilgerneuling stechend seine Liebe
spüren lässt, wenn er zum ersten Mal ein fernes Läuten hört,
das den Tag beklagen mag, der jetzt vergeht.
(Dante, Göttliche Komödie, Purgatorio Achter Gesang – Übersetzung Hartmut Köhler, Zitat unten aus dem umfangreichen Anmerkungen)

Abenddämmerung1
Blick von Pico Richtung Sao Jorge

Es schien Ulrich, dass Vertrauen und Neigung zu fühlen oder für einen anderen zu leben, ein zu Tränen rührendes Glück sein müsse, so schön wie das glutvolle Versinken des Tags in den Abendfrieden und ein wenig auch so zum Weinen arm an Vergnügen und geistesstill.
(Musil, Mann ohne Eigenschaften)

Abenddämmerung2

Nike

Dienstag, April 26th, 2011

Nike

Nur über die allzu natürliche Wiedergabe der Natur hat man sich mit Unrecht beklagt. Die jungen Grenadiere stehen so hoch …, dass eine junge Dame schon sehr neugierig sein muss, wenn sie, aus einer Predigt im Dom kommend, an dem modernen Griechentum auf der Schlossbrücke ein Ärgernis nehmen will …
(Karl Gutzkow, 1854)

Schöne Augen

Samstag, April 9th, 2011

Above Cruz

Friedrich I. wendet sich ab

Das Schönheitsgefühl wird durch den Grad der ruhigen Beschauung hervorgerufen, der Verdauung durch das Auge, wie Wobser in seinen Schriften über das Schöne behauptet.
(Ror Wolf Tranchirers letzte Gedanken …)

Schönheit

Sonntag13

Frühling

Samstag, März 12th, 2011

KW Wildau Spaziergang 03

Jede Floraleinheit auf unserem Grundstück lässt auf wahrhaft schamlose Weise das Pistill anschwellen.
(David Foster Wallace)

Repräsentantinnen des Statuenvolkes

Samstag, Oktober 23rd, 2010

GFF1
Rolf Szymanski, GroßeFrauenfigurBerlin I

Auf den ersten Blick schien sie eine Bronzenymphe wie jede andere zu sein, eine bescheidene Repräsentantin des Statuenvolkes, das parasitengleich an den städtischen Springbrunnen steht und im Forsythienstrauch schamhaft mit dem Händchen den polierten Wulst zwischen den Schenkeln verdeckt. … Nur daß man in ihrem Gesicht … nicht den typischen Ausdruck erkennen konnte, jene leicht komplizenhafte und irgendwie herausfordernde Keuschheit, Scham gepaart mit jungfräulicher Genußfreude, nichts von der Errötung, die zum bukolischen Liebesspiel aufruft und verführt.
(aus: Mircea Cartarescu Travestie)

BFFI2
Rolf Szymanski, GroßeFrauenfigurBerlin II

Blick ins Fenster

Mittwoch, September 8th, 2010

Blick ins Fenster

Die Schönheit ist weder eine akademische Frage, für die Professoren der Ästhetik zuständig, noch ein Reiz, auf den Dandys abonniert sind. Sie ist nichts anderes als ein Anrecht des Menschen, gleich dem auf Brot, Behausung, Bildung, und dieses Anrecht muss er sich durch keine Verdienste erwerben, es fällt einem jedem schon durch seine Geburt zu.
(Karl-Markus Gauß Im Wald der Metropolen über Ivan Cankar und den Anspruch des Menschen auf Schönheit)

Spaziergängerin

Sonntag, August 15th, 2010

Spaziergängerin

Wir sind nicht von Natur aus Spaziergänger, aber wir sind auf der Welt, um Spaziergänger zu werden. Um Bäume mit winterbeständigem Laub zu berühren. Um wildwachsenden Rosmarin und Thymian zwischen den Fingern zu zerreiben und daran zu riechen. Sand durch die Finger gleiten zu lassen. Das Fell von Hunden zu streicheln, die nicht zum kläffen bestimmt sind, geschweige denn zum Beissen. Jeden Tag einen neuen Weg zum Aufenthaltsraum zu nehmen. Sich sonnenwarme Walderdbeeren auf der Zunge zergehen zu lassen, den Kiefernharz zu riechen. Und wenn der Mensch sich nicht dafür interessiert, dann hat er seinen Beruf als Mensch verfehlt. Dann hat es keinen Sinn, mit ihm über alle möglichen und unmöglichen Dinge zu reden.
(auch diese Weisheit ist von Spaziergänger Zbinden)