Posts Tagged ‘Zitat’

Wie lernt man seine Stadt kennen?

Mittwoch, Februar 12th, 2014

Schattenkegel

Eine Stadt: Stein, Beton, Asphalt, Unbekannte, Denkmäler, Institutionen.
Megalopolis. Sich polypenartig ausdehnende Städte. Verkehrsadern. Menschenmengen.
Ameisenhaufen?
Was ist das Herz einer Stadt? Die Seele einer Stadt? Warum sagt man, daß eine Stadt schön ist oder daß eine Stadt häßlich ist? Was ist schön und was ist häßlich an einer Stadt? Wie lernt man eine Stadt kennen? Wie lernt man seine Stadt kennen?
(Georges Perec, Träume von Räumen)

Schattenspiel

Dove Vai

Sonntag, August 4th, 2013

Ruheplätzchen

Weil der Trottel [John Ruskin] so viele Jahre mit dem Betrachten so vieler alter Statuen beschäftigt war, dass er in seiner Hochzeitsnacht schier fast einen Schock erlitten hätte, weil ihm nämlich niemand je gesagt hatte, dass lebendige Frauen Schamhaare haben.
(David Markson, Wittgensteins Mätresse)

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Andreas Wegner, Dove Vai (Wohin gehst du?), 1986-87

Adler

Dienstag, Juni 25th, 2013

… die Adler kreischten nicht mehr und taten wieder, als wären sie aus Stein.

bewacht

Kriegerisches in Spandau

Adler

Aber selbst heute … ist Berlin noch die Stadt der Adler; und im Jahr 1914, als alles anfing, waren wir … bis zur Vollkommenheit mit jenen königlichen Kriegsvögeln gesegnet, die uns inspirierten und beschützten zugleich und sich manchmal als geflügelte Gottheiten auf Säulen verkleideten …
(aus: William T. Vollmann – Europe Central)

Fotografie ist die unheimlichste der Künste

Montag, Januar 14th, 2013

Stadtrundfahrt

Fotografie ist die unheimlichste der Künste – ein Augenblick, dem Lauf der Geschichte entrissen, wird festgehalten, während der Strom der Zeit die Momente davor und danach verschwinden lässt.
(Teju Cole in Open City)

Wäsche

Club Soho House

Montag, Oktober 15th, 2012

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Thomas Frantz hatte davon gelesen, in der Zeitung. Es war nicht viel mehr als eine längere Meldung mit Bild gewesen. … Wo früher die SED regierte, zieht der Club Soho House mit Swimming Pool, Lounge und Sauna ein. Frantz kennt das Gebäude. Dreizehn Jahre lang stand es leer an der Kreuzung Prenzlauer Allee, Ecke Torstraße, dieses riesige, bräunliche, verwitterte Haus, wie ein liegendes L ragte es in den Himmel. … Immer hatte er sich gefragt, was wohl aus diesem Bau werden würde, dessen Schaufenster zur Straße hin zugemauert waren. Das Haus strahlte etwas Düsteres und zugleich Anziehendes aus. … „Einige Zimmer wurden komplett ausgebaut und eingelagert, zum Beispiel das von Pieck, das wird hier wieder so eingebaut, wie’s mal war, wenn alles fertig ist, das war eine Auflage der Denkmalbehörde.“
(aus: Gehwegschäden von Helmut Kuhn)

Schwabylon

Sonntag, Juli 15th, 2012

Welcome to Schwabylon

In jüngster Zeit beklagen Begeher und andere Mitarbeiter der Behörde immer häufiger das Bekleben der Hinweis- respektive Zusatzschilder Gehwegschäden sowie Geh- und Radwegschäden durch Dritte. Diese Schäden werden von den Begehern im Begehungsbuch handprotokollarisch festgehalten.
„Durch das Bekleben und Beschmieren der Schilder haben diese oft nur noch eine Halbwertszeit von einer Woche. Dann sind sie gar nicht mehr lesbar und müssen ausgetauscht werden“, stellt ein Mitarbeiter der Behörde fest.
Das Verschmieren und Bekleben öffentlicher Verkehrs- respektive Zusatzzeichen durch Dritte etwa in Form von Mitteilungen, Obszönitäten und Verzierungen vermittels nicht abwaschbarer Filzstifte und kleiner Aufkleber, die in aller Regel Demo- und Partyhinweise enthalten, sei eine „Unzumutbarkeit und ein Phänomen der Zeit“, sagt der Mitarbeiter. (aus: Gehwegschäden von Helmut Kuhn)

April

Mittwoch, April 4th, 2012

Frühling

Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern
schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er
leer war,-
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.

Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.

(Rainer Maria Rilke, Buch der Bilder, 1902)

Geheimnisse

Türklopfer

Montag, März 5th, 2012

Tür
Fritz Kühn, 1937

Wenn, als ich jung war, geklingelt oder geklopft wurde, ward ich vergnügt, denn ich dachte, nun käme es. Jetzt wenn es klopft, erschrecke ich, denn ich denke: „da kommt’s“
(Schopenhauer, Reisetagebuch, 1822)

Berlin, ich denke dein …

Montag, Februar 27th, 2012

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Alle Einwohner Berlins sind intensiv mit ihrer Beschäftigung beschäftigt. Alle nehmen sie und sich furchtbar ernst, was ihnen einen leicht komischen Anstrich gibt. Auch die Müßiggänger gehen nicht schlechthin müßig, sondern sind damit beschäftigt , müßig zu gehen … Berlin, altes eckiges, liniertes, zerfilmtes Berlin, unsüße, unbarmherzige, scharfe, gierig-wollende mit Zähnen und Fäusten das Leben haltende Stadt, ich denke liebevoll dein …
(Alfred Polgar, 1922)

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May-Ayim-Ufer mit roter Signalkugel (Ulrike Mohr)

Balkon Nr. 39

Donnerstag, Februar 23rd, 2012

Balkon Nr. 39

Balkone sind Einfallstore ins Heimische.

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Leider kann man nicht durch fremde Wohnungen spazieren. August würde gern einige Tage lang nichts anderes tun, durch eine nach der anderen. Wie ließe sich das anstellen? Ein paarmal geht er zu Besichtigungsterminen, die er in der Zeitung findet, aber das ist nichts. Stattdessen nimmt er verstohlen Einblicke ins Private, späht durch Scheiben in Erdgeschoss und Hochparterrezimmer. Manchmal stehen Puppen am Fenster, gucken nach draußen, wie eingesperrte Kinder, vielleicht sollen sie, durch gespenstischen Gegenblick, neugierige Glotzer bannen. Auch Balkone sind solche Einfallstore ins Heimische, es gibt Kunstgärtchen und Bonsaiplantagen, Urwälder und Wucherungen; Abstellbalkone unter Taubennetzen, vollgepackt mit Flaschen, Kisten, ausrangierten Möbeln; auf einem Balkon stehen ein Strandkorb und ein Schlitten nebeneinander. Einmal gewährt ein Parterrebalkon August eine, wie ihm scheint, intime Einsicht: Eine Frau gießt die Blumen in den Kästen, doch im Ablauf dieser Tätigkeit zeigt sich ein Bruch, die Frau gießt die Blumen nicht in einer Linie durch, sondern erst von rechts bis kurz vor die Mitte, dann von links bis kurz vor die Mitte, und die Mitte zuletzt; die routinierten, wie tausendmal geübten Bewegungen sprechen gegen einen Zufall, und so ist August, als habe er soeben eine Art von Widerstand gesehen, Widerstand konserviert in ewigem Frost.
(aus: Albrecht Selge wach Rowohlt, 2011)