Sinn des Reisens
Die Meinung von den Reisezwecken,
Wird sich durchaus nicht immer decken,
Wie große Zeugen uns beweisen:
Man reise wohl, nur um zu reisen,
Meint Goethe, nicht um anzukommen.
Begeistrungskraft, genaugenommen,
Sei der ureigenste Gewinn.
Montaigne sieht des Reisens Sinn
Nur darin, daß man wiederkehrt.
Darauf legt auch Novalis Wert;
Er drückt es ungefähr so aus:
Wohin wir gehn, wir gehn nach Haus!
Doch Seume, der – und zwar zu Fuß! –
Spazieren ging nach Syrakus,
Sah geistig, sportlich an die Dinge:
“ ‚S würd besser gehn, wenn man mehr ginge!“
(Eugen Roth)
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Nachrichten aus Madeira (5)
Sonntag, Januar 25th, 2015Goldener Herbst
Montag, November 17th, 2014Herbst
Eine trübe, kaltfeuchte Wagenspur:
Das ist die herbstliche Natur.
Sie hat geleuchtet, geduftet, und trug
Ihre Früchte. – Nun, ausgeglichen,
Hat sie vom Kämpfen und Wachsen genug. –
Scheint’s nicht, als wäre alles Betrug
Gewesen, was ihr entwichen?!Das Händesinken in den Schoß,
Das Zweifeln am eignen, an allem Groß,
Das Unbunte und Leise,
Das ist so schön, dass es wiederjung
Beginnen kann, wenn Erinnerung
Es nicht klein machte, sondern weise.Ein Nebel blaut über das Blätterbraun,
Das zwischen den Bäumen den Boden bedeckt.Wenn ihr euren Herbst entdeckt:
Dann seid darüber nicht traurig, ihr Frauen.Joachim Ringelnatz (*7. August 1883 in Wurzen; †17. November 1934 in Berlin)
Berlin
Samstag, Oktober 25th, 2014Objektivierung des Körpers
Donnerstag, Januar 30th, 2014Porträtfotografie in Brasilien 1869/2013
Eustaquio Neves, Porträts aus der Serie „Objetizacao do Corpo“, 1999/2000
Liebeslied
Ich will wissen, wenn du glücklich bist,
Ich will wissen, geht’s dir gut?
Ich will immer wissen, was grad‘ ist,
Freude, Schwäche, Zorn, Kraft, Mut?Ich würd‘ immer deine Leiden teilen,
Käme immer zu dir her.
Würde immer wieder zu dir eilen,
Schwämme zu dir über’s Meer.Hoffen will ich, ich will glauben,
Ich bin der Mann, die Frau bist du.
Spür‘ den Glanz in deinen Augen,
I sing a lovesong to you.(Jürgen Berlin)
Herbst
Samstag, September 14th, 2013VERFALL (Georg Trakl)
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg‘ ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.Hinwandelnd durch den nachtverschloßnen Garten,
Träum‘ ich nach ihren helleren Geschicken,
Und fühl‘ der Stunden Weiser kaum mehr rücken –
So folg‘ ich über Wolken ihren Fahrten.Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Ein Vogel klagt in den entlaubten Zweigen
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,Indess‘ wie blasser Kinder Todesreigen,
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern
Im Wind sich fröstelnd fahle Astern neigen.
Wetter
Donnerstag, April 11th, 2013Die Pappel am Karlsplatz
Dienstag, Januar 29th, 2013Die Pappel am Karlsplatz
Eine Pappel steht am Karlsplatz
Mitten in der Trümmerstadt Berlin
Und wenn Leute gehn übern Karlsplatz
Sehen sie ihr freundliches Grün.In dem Winter sechsundvierzig
Frorn die Menschen, und das Holz war rar
Und es fielen da viele Bäume
Und es wurd ihr letztes Jahr.Doch die Pappel dort am Karlsplatz
Zeigt uns heute noch ihr grünes Blatt:
Seid bedankt, Anwohner vom Karlsplatz
Daß man sie noch immer hat!(Bertolt Brecht)
April
Mittwoch, April 4th, 2012Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern
schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er
leer war,-
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.(Rainer Maria Rilke, Buch der Bilder, 1902)
Musikalischer Dichter
Mittwoch, März 28th, 2012Dichter
Ich hab schon lange nichts mehr geschrieben
Und sollte mir langsam Sorgen machen.
Wo ist meine Kreativität geblieben?
Oder kann ich auch mal drüber lachen?
Ein Text, ein Lied, mir abgerungen,
Bringt manchen Gewinn, auch unbenannt:
Sehr schön, grandios, wirklich gelungen.
Vorausgesetzt, es wird bekannt.
Oder man nimmt es spöttisch auf:
Nicht so viel Pathos, bisschen schlichter.
Oder abschätzig gar, setzt noch einen drauf:
Ein spät berufener Laiendichter.
Noch schlimmer ist, es nicht zu beachten.
Tut man nur so, ist man im Hader?
Als Dichter und Denker den betrachten?
Der hat doch für Lyrik überhaupt keine Ader.
Sind abgestumpft, gehen blind durchs Leben,
Oder sind einfach noch viel zu jung,
Das wird sich später vielleicht geben,
Manchmal gelingt ein Quantensprung.
Am allerschlimmsten aber ist
Selbstzweifel an meinen Sachen.
Hat mich die Muse je geküßt?
Oder kann ich auch mal drüber lachen?(Jürgen Berlin)