Ich war schon seit je überzeugt, daß jeder Augenblick, den ich erlebe, den ich vertue und der unnütz verstreicht, irgendwo gespeichert wird und mir irgendwann zugute kommen würde, sobald ich diese selbstlosen Ersparnisse brauchte. Und selbst wenn ich es dauernd hinausschob, die Unmengen von Sekunden, Tagen und Jahren, die sich dort ohne mein Zutun angesammelt hatten, von der Zeitbank abzuheben und zu nutzen, war mir doch nicht unwichtig, daß es jene Bank gab. Schließlich ist der reichste Mann der Welt nicht der, der am meisten ißt oder sich am besten kleidet, sondern der, dem dies jederzeit freisteht.
(Ana Blandiana, Auf dem Lande)
Leider ist es nicht so wie es Ana Blandiana beschreibt. Nutzlos vertane Zeit bleibt vertan. Man kann sie eben nicht auf ein Konto bringen und bei Bedarf abheben. Zweimal haben wir schon Anlauf genommen, um die Rohkunstbau-Ausstellung Endlich Frieden! in Altdöbern zu besuchen, zweimal machte uns die Regionalbahn mit Ausfällen und Verspätungen einen Strich durch die Rechnung. Heute hat es endlich geklappt.
In der Ausstellung ärgert mich das Banksy-Werk. Ein von ihm besprühter städtischer Elektroverteilerkasten wurde dem urbanen Raum entnommen und in einem Schlosssaal platziert. Schwachsinn!
Es sind die Arbeiten von Olena Pronkina, bei denen wir länger verweilen.
Olena Pronkina wurde 1988 in Taschkent (Usbekistan) als Kind ukrainischer Eltern geboren. Bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine arbeitete sie in Kiew. Von dort floh sie nach Lwiw und im Juni vergangenen Jahres nach Berlin. Pronkina malt Parallelwelten von sich verästelnden Traumlandschaften in gedämpften Farben. Eindeutig sind ihre Reminiszenzen an die Florentiner Freskomalerei der Renaissance. In diesen Maltechniken wurde sie einst ausgebildet. Ihre Bilder verweisen auf vergangene Zeiten im sowjetischen Einflussbereich – zum Teil mit direkten Referenzen auf die DDR. Seit ihrer Flucht haben sich ihre Arbeiten verändert. Die bereits in Berlin entstandene Serie „Dew to the Sun“, die beim 28. Rohkunstbau zu sehen ist, referiert auf eine Zeile der ukrainischen Hymne und stammt aus einem Gedicht von Tschubynskyj aus dem Jahr 1862. Auf ihren Gemälden sind Körperfragmente zu sehen, Hände, Köpfe in die Welt geworfen zwischen Resten von Pflanzen – viel Schwarz ist den Farben beigemischt. In ihren Tonplastiken formt sie Gesichter, die an Totenmasken erinnern – in sich gekehrt. Schauen sie den Betrachter noch an oder sind sie im Gebet versunken? Endlich Frieden!
Uns war bewusst, dass es nicht leicht wird, in Altdöbern essen zu gehen. In der Orangerie des Schlosses ist zwar ein Restaurant, aber ein Schild am Eingang weist uns darauf hin, dass es nur für solche Gäste etwas zu essen gibt, die vorher reserviert haben. Wahrscheinlich hat man vor 33 Jahren vergessen, das Schild abzunehmen.
Am Rand der kleinen Ortschaft entdecken wir das ehemalige Kulturhaus. Darin befindet sich jetzt ein Restaurant KULTBERG mit einem großen Veranstaltungssaal und einem Biergarten. Es ist geöffnet! Gabi isst den Burger des Monats, einen Spreewald-Ösi. Der Wirt wirbt für ein Archie Lee Hooker-Konzert im September.