Archive for Januar, 2008

Der Spaziergang

Sonntag, Januar 13th, 2008

Am 13. September 1806 wird Hölderlin unter Gewaltanwendung von Bad Homburg vor der Höhe nach Tübingen, ins Autenriethsche Klinikum abtransportiert. Der letzte Eintrag, am 21. Oktober 1806, ins Rezeptbuch der Autenriethschen Klinik, bevor Hölderlin (im Frühjahr 1807) in private Pflege entlassen wird, verzeichnet ein einziges Wort: Spazierengehen.
(Thomas Schestag in: Promenaden in: KOPFlandschaften LandschaftsGÄNGE – Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs, Böhlau 2007)

Leiter

Der Spaziergang
(Hölderlin)

Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt einem das herrliche Bild
Der Lanschaft, die ich gerne
Besuch‘ in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blitzen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.

Ein Palast anstelle des Schlosses anstelle des Palastes …

Samstag, Januar 12th, 2008

Palast

In [Berlin] wird der Reisende eingeladen, die Stadt zu besichtigen und zugleich gewisse alte Ansichtskarten zu betrachten, die zeigen, wie sie früher war: genau derselbe Platz mit dem Huhn anstelle des Autobusbahnhofs, dem Musikpavillon anstelle der Überführung, zwei Fräulein mit weißem Sonnenschirm anstelle der Munitionsfabrik. Um die Einwohner nicht zu enttäuschen, muß der Reisende die Stadt auf den Ansichtskarten loben und sie der heutigen vorziehen, jedoch darauf bedacht sein, das Bedauern im Rahmen genauer Regeln zu halten.
(aus: Italo Calvino Die unsichtbaren Städte)

Vorm ICC fehlt etwas

Freitag, Januar 11th, 2008

Zugriff

Wer bei diesem in Pietrasanta stehenden Gipsmodell einer Skulptur von Jean Ipousteguy ein Deja-vu verspürt, erinnert sich noch an die riesige Skulpturengruppe Alexander der Große vor Ekbatana. Bis 2005 stand sie vor dem ICC. Jetzt ist sie irgendwo auf dem Messegelände verstaut, der Sockel sei brüchig geworden und außerdem wären Restaurierungen notwendig gewesen.
(diese Infos gab es heute hier)

Henriette und Friedrich Wilhelm

Donnerstag, Januar 10th, 2008

Henriette

Auf dem Henriettenplatz in Wilmersdorf steht ein Obelisk aus dem Jahre 1988. An ihm sind Porträtreliefs der Prinzessin Louise Henriette von Oranien-Nassau (1627 – 1667) und ihres Mannes, des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620 – 1688), angebracht. Beide hatten 1646 in Den Haag geheiratet. Der Platz ist schon seit 1892 nach der Prinzessin benannt.
Die Reliefs sind Abgüsse nach Originalen von Francois Dieussart (um 1600 – 1661).

Vostell

Mittwoch, Januar 9th, 2008

Cadillacs in Beton

Auf dem Rathenauplatz steht Vostells Cadillacs in Form der nackten Maja, 1987.
Einige Jahre früher entstand VOAEX, 1976 (Viaje de (h)Ormigon por la Alta EXtremadura, Betonreise durch die Oberextremadura).

Voaex

Diese Skulptur sahen wir im letzten Oktober (Studienreise des Fördervereins der Berlinischen Galerie ins Museo Vostell Malpartida). Hier einige Impressionen.

Schöner Bäume retten

Dienstag, Januar 8th, 2008

Stielow 2007

Für die Baumrettung am Landwehrkanal gab es den Berliner Umweltpreis 2007. Die Bäume sind tatsächlich noch da, aber der schöne Uferweg in der Corneliusstraße ist nicht mehr begehbar. Die Stielow-Skulptur (1990) wurde geschmackvoll und umweltfreundlich durch eine Beton-Skulptur des WSA (Wasser- und Schifffahrtsamt) ergänzt.
Jetzt wurde erkannt, dass die 8 Tonnen schweren Betonklötze den Bäumen sogar schaden können. Der Wind könne die Bäume knicken, weil sie so starr an den Klötzen befestigt sind. Es gibt einen Vorschlag für alternative Schutzmaßnahmen (so steht es zumindest hier).
Es muss doch möglich sein, die Bäume vor Umwelteinflüssen zu schützen und sie unsterblich zu machen, vielleicht einhausen?

Ash

Montag, Januar 7th, 2008

Bei der letzten Ausgabe der Backjumps (The live Issue #3) im letzten Jahr entstanden wieder einige Fassadenarbeiten,
darunter diese Arbeit von ASH

Astronaut

I began my artistic career as a graffiti writer in the early 80s with the legendary crew BBC. Since 1988 I have been exhibiting regularly in varlous galleries and spaces worldwide. My works often revolve around the contrast between country and city, nature and culture. They explain in art, experiences of everyday events and fantasies involving the relations between humans and nature as well as humans and technology. Esthetically, the works take inspiration from modern graphics. They combine varlous elements at their most organic, which in turn evolve into stylistic, mechanical figures flowing through various media.
(ASH in the exhibition-catalogue Backjumps – The Live Issue #3)

Echo

Sonntag, Januar 6th, 2008

Echo I

Das ist eine der zwei Echo-Skulpturen (1988) von Bernhard Heiliger am Haupteingang zur Philharmonie am Kemperplatz (hier weitere Bilder von Heiliger-Skulpturen in Berlin).

Zur Illustration der mannigfachen Resonanzen, die in einem Echo vorkommen, haben die alten Griechen die Geschichte von einer schönen Bergnymphe erfunden. Diese hieß Echo, und sie beging den Fehler, Zeus bei einer seiner sexuellen Eroberungen zum Erfolg zu verhelfen. Hera kam dahinter, und sie bestrafte Echo, die fortan nichts mehr sagen konnte als die jeweils letzten Worte, die man an sie gerichtet hatte. Bald darauf verliebte sich Echo in Narziss, der jedoch ausschließlich von sich selbst besessen war, sodass sie sich nach und nach verzehrte, bis einzig ihre Stimme übrigblieb (vielleicht bei Ovid nachlesen … hier).
In einer weniger bekannten Version dieser Sage verliebt sich Pan in Echo. Echo jedoch weist seine amourösen Avancen zurück, und Pan, der ja der Gott der Höflichkeit und Selbstbeherrschung ist, reißt sie in Stücke und begräbt alles bis auf ihre Stimme. Adonta tamele. In beiden Fällen führt unerfüllte Liebe zur vollständigen Auslöschung von Echos Körper und beinahe auch zur Auslöschung ihrer Stimme.
(aus: Mark Z. Danielewski Das Haus)

In der Kunstbibliothek

Samstag, Januar 5th, 2008

Form aus Licht und Schatten
Heinz Hajek-Halke in der Kunstbibliothek

Form aus Licht und Schatten

Ich war Kunstdünger für meine Zeit, auf dem vieles weiter wachsen konnte und auch wuchs. Das genügt mir. Mehr war aus meiner Begabung nicht herauszuholen. Es kann nicht jeder ein Rembrandt oder Goethe sein. Zu einer so zurückhaltenden Selbsteinschätzung sind heute nicht mehr viele fähig – und Heinz Hajek-Halke (1898-1983) hätte sich bei derlei Bildern vom Säen und Ernten durchaus als derjenige bezeichnen dürfen, der bei der Urbarmachung der modernen Fotografie entscheidend mitgewirkt hat. Mit der sogenannten „Combi-Photographie“ (mehrere Negative ergaben im Sandwich-Verfahren einen Abzug) erfand der Berliner ein Verfahren, das sich an den neuen Montage-Möglichkeiten des Films orientierte – und Fotos so innovativ mit Grafik und Text verband, wie die Magazine der Weimarer Republik es sehen wollten.
(mehr hier von C. Böker)

Die üble Nachrede

»Die üble Nachrede« von 1932, eine seiner bekanntesten Doppelbelichtungen, entstand aus der Sandwich-Kombination einer Straßenszene – aus einem Haus heraus hatte Hajek-Halke in steiler Perspektive von oben herab einen sich auflösenden Begräbniszug fotografiert – mit einem weiblichen Torso. Gewinnt schon das Straßenfoto durch kühne Verknappung an Prägnanz, so wird erst durch den Akt, der sich schemenhaft über den Asphalt legt, daraus eine Bilderzählung, die im Zusammenhang mit dem Titel eine ganze Assoziationskaskade auslösen kann.
(mehr im Museumsjournal)

Vorfreude auf Vedova

Freitag, Januar 4th, 2008

In der Berlinischen Galerie wird gegenwärtig eine Retrospektive Emilio Vedovas vorbereitet, die ab 24. Januar zu sehen sein wird.

Das ist Anlass für das Feuilleton der Berliner Zeitung sich vorab auf die Spuren des 2006 verstorbenen Malers in seine Heimatstadt Venedig zu begeben (hier: Der Ungeduldige von Le Zattere von I. Ruthe).

Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis das Wasserboot von der Station Arsenal ablegt und auf die Le Zattere-Seite zusteuert, dorthin, wo auf der malerischen Halbinsel Santa Maria della Salute thront und trotz ihres Baugerüstes zeitlose Schönheit verkündet. Ein Stück geht es durch die engen Gassen hinter der barocken Kirche – Richtung Emporio dei Sali (Altes Salzlager) und vorn am Wasser, am Ponte dell’ Umiltà, reckt sich ein altersschwaches hohes Haus mit oleanderbewachsenem Dachgarten in den kaltblauen Himmel. Hier befindet sich die Stiftung Emilio und Annabianca Vedova.

Seiner Wahlheimat [Berlin] hatte Vedova ein ausladendes Gastgeschenk hinterlassen: Das „Absurde Berliner Tagebuch„, bestehend aus einer gewaltigen Installation – informelle, gestisch abstrakte Malerei auf riesigen Holztafeln.

Absurdes Berliner Tagebuch

Jörn Merkert schreibt in Kunst die in Berlin entstand zu dieser Installation:

Eines der Geheimnisse, warum Venedig so unvergesslich fasziniert, liegt wohl darin, dass der Besucher immer mitten in einem Kunstwerk steht – einem Gesamtkunstwerk, zu dem auch banale Alltäglichkeiten gehören, die als unverbrüchlicher Teil von Kunst und Geschichte in der Gegenwart gelebt werden. Was für ein Kulturschock muss es für Vedova gewesen sein, als Sohn der funkelnden und bröckelnden Serenissima 1964 in Berlin dem »ständigen Zusammenprall gegensätzlicher Situationen« ausgesetzt zu sein, »randvoll mit mancherlei Ängsten, gestern, heute, mit latenten Vergesslichkeiten, voller Mehrdeutigkeit, angefüllt mit anachronistischen Melancholien, überhitzten Antagonismen«: die Ruinenfelder der Stadt, das künstlich erblühende Westberlin, die Mauer, die Erinnerungen. 1960 als Idee für ein Bühnenbild zu Luigi Nonos Oper »Intolleranza« entwickelt, fanden die Plurimi – frei im Raum stehende und hängende wüste Bildtafeln mit explosionsartiger Malerei – in Berlin zu ihrem eigentlichen Sinn. Auch hier steht der Betrachter nicht mehr vor, sondern mitten im Bild. Berlin a la Veneziana.