Posts Tagged ‘Zitat’

Der Faustkämpfer vom Quirinal

Samstag, Februar 2nd, 2008

Die Bronzestatue eines sitzenden Boxers (gefunden 1885 beim Quirinalshügel in Rom) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (?) ist im Alten Museum zu Gast.
Literaturempfehlung:
Paul Zanker Der Boxer in Luca Giuliani (Hrsg.) Meisterwerke der antiken Kunst, C. H. Beck, 2005

Faustkämpfer vom Quirinal

Theokrit (Übersetzung Dietrich Ebener)
Loblied auf Kastor und Polydeukes (Die Dioskuren)
(hier: der Faustkampf zwischen Polydeukes und Amykos)


Als sich die Gegner die Fäuste verstärkt mit geflochtener Stierhaut
und um die Arme geschlungen hatten die mächtigen Riemen,
trafen sie zwischen den Scharen mordschnaubend aufeinander.

Wie überwand des Kroniden Sprößling den gierigen Riesen?
Sag es mir, Göttin, du weißt es! Als Sprecher von anderen will ich
alles berichten, nach deinem Wunsch und deinem Gefallen!

Einen entscheidenden Schlag gedachte Amykos zu führen,
packte mit seiner Linken die Linke des Gegners, zum Ausfall
schräg nach vorne gebeugt, und ließ aus der Hüfte, im Ansturm,
mächtig die Rechte hervorschnellen; wäre die Absicht gelungen,
hätte er sicher zu Fall gebracht den König Amyklais.
Dieser entzog sich dem Stoß durch Wendung des Kopfes, mit starker
Faust zerschlug er die linke Schläfe, bedrohte die Schulter –
gleich entquoll ein düsterer Blutstrom der klaffenden Schläfe -,
traf mit der andern den Mund, so daß die Zahnreihen krachten,
hämmerte dann mit stets schnelleren Schlägen das Antlitz zuschanden,
bis er die Kiefer zertrümmert hatte; halb ohnmächtig, stürzte
nieder Amykos und hob, zum Zeichen des Aufgebens, beide
Hände zugleich in die Höhe; denn nahe stand er dem Tode.

Kounellis Labyrinth

Sonntag, Januar 20th, 2008

Jannis Kounellis in der Neuen Nationalgalerie
Im gläsernen Tempel der Neuen Nationalgalerie hat Jannis Kounellis in die obere Halle aus großen, geschweißten Stahlelementen ein von Kohle bekröntes Labyrinth gebaut, in das er verschiedene seiner Arbeiten eingebettet hat. Das Labyrinth bezieht sich auf das legendäre Labyrinth des Königs Minos auf Kreta.

Jannis Kounellis

Das berühmteste Labyrinth … war jenes, das Dädalus für König Minos errichtet hat. Es diente als Gefängnis. Dieser Irrgarten … war dazu bestimmt als Verlies für den Minotaurus zu dienen, ein Geschöpf, das aus dem unerlaubten Beischlaf der Königin mit einem Stier hervorgegangen war.

Selbst auf die Gefahr hin, eine Allerweltsweisheit zu verkünden: aus der Paarung einer Frau mit einem Stier kann keinesfalls ein Kind entstehen. Die Anerkenntnis dieser einfachen wissenschaftlichen Tatsache bringt mich auf einen ziemlich interessanten Verdacht: König Minos errichtete das Labyrinth nicht als Gefängnis für ein Ungeheuer, sondern als Versteck für ein missgebildetes Kind – sein Kind.
Während der Minotaurus … oft als ein Wesen dargestellt wird, dessen Hinterleib dem eines Stieres gleicht; der Vorderleib jedoch dem eines Menschen, hat er in der Sage lediglich den Kopf eines Stiers, aber einen menschlichen Körper;
ist dort also mit anderen Worten als Mensch mit entstelltem Gesicht beschrieben. Vermutlich war es sein Stolz, der Minos zu akzeptieren hinderte, dass der Erbe seines Thrones eine derart abscheuliche Erscheinung war. Deshalb setzte er das Gesetz der Erbfolge außer Kraft, indem er seine Gemahlin Pasiphae öffentlich der Unzucht mit einem männlichen Rind bezichtigte.

Diese Vermutung ist aus DAS HAUS von Mark Z. Danielewski. Dort ist dieser Text durchgestrichen. Warum? Das ist eine andere Geschichte.

Der Kuss

Mittwoch, Januar 16th, 2008

Bei der letzten Ausgabe der Backjumps (The Live Issue #3) im letzten Jahr entstanden wieder einige Fassadenarbeiten,
darunter diese Arbeit von NOMAD

NOMAD
NOMAD Der Kuss, 2007

Die Kußlustigkeit in Österreich und in den slawischen Ländern, wo man sich bei allen Gelegenheiten mit Küssen überschüttet, ist abzulehnen; sie ist eine Unsitte, die mit mangelhafter Entwicklung der Persönlichkeit zusammenhängt. Soll der Kuss seinen Wert behalten, dann küsse man nur im warmen Herzensdrang, gelegentlich oder zur rechten Stunde, lasse es aber im übrigen mit einem mehr oder minder warmen Händedruck genügen, der niemand schadet und niemals oder nur selten Ekel erregt.
(Ror Wolf
Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt
Schöffling & Co., 1999)

Der Kuss 1897
Edvard Munch Der Kuss (Detail), 1897

Willi und Kurt Mühlenhaupt

Dienstag, Januar 15th, 2008

Der lange Jahre in der Blücherstraße ansässige Händler, Kneipier, Drucker und Malerpoet Kurt Mühlenhaupt (1921 – 2006) beschäftigte sich 1977 mit der Emailletechnik. Es entstanden 4 auf Edelstahlstelen montierte Emaillebilder für die Grabstätte Mühlenhaupt. Die Grabstätte auf dem Gottesacker der Brüdergemeinde wurde anlässlich des Todes des Malers und Allesmachers Willi Mühlenhaupt (1907 – 1986, Bruder von Kurt) erworben. Die Stelen wurden irgendwann geklaut.
1988 schuf Kurt Mühlenhaupt die Betonstelen. Die waren bis jetzt zu schwer zum Stehlen.

Grabstätte Mühlenhaupt

Mein Bruder [Willi] war sechzehn Jahre älter als ich, und doch war ich für ihn der Vater, und er war für mich das große Kind. Manchmal hatte ich es schwer mit ihm. Es kam schon mal vor, daß ich ihn aus irgendeiner Kneipe mit der Schubkarre nach Hause bringen mußte. Aber er war kein Trinker. Er ließ sich nur allzugern verladen. Seine Possen, die er trieb, geschahen stets unüberlegt und ungewollt. Er war wirklich ein wahrhaftiger Naiver. Da mein Bruder unentwegt asthmatische Anfälle bekam, hatte er ständig Angst, zu ersticken. Er pumpte und pumpte mit seinem Ball, wuselte nachts umher und schlief am Tage beim Laufen, im Sitzen und beim Essen, wahrscheinlich vom hohen Zucker. Aber es war immer nur ein kurzes Nicken. Ich gab ihm Farbe und Papier, damit er seine Krankheiten vergessen sollte. Von nun ab malte er unentwegt. Alle um ihn herum nahmen ihm die Bilder ab. Er malte immer schneller. Was er gebraucht hätte, waren Käufer, die richtig ein paar Mark dafür zahlen. Es waren Hampelmänner, Hampelfrauen, Hampelpferde, die auf den Bildern strampelten. Auch Dinosaurier hampelten, lange bevor sie in Mode kamen. Ein anderes Mal faszinierten ihn die Märchen. Er bastelte Esel streck dich und Knüppel aus dem Sack. Es verstand sich von selbst, daß er Pfennige, Groschen und Markstücke in seinen Bildern verarbeitete, die schon aus diesem Grund einen gewissen Wert hatten. Am liebsten malte er Hans im Glück, bei dem man nie das Gefühl los wurde, daß er sich selbst darstellte.
(aus: Katalog Kurt Mühlenhaupt zum 80. Geburtstag, 2001)

Der Spaziergang

Sonntag, Januar 13th, 2008

Am 13. September 1806 wird Hölderlin unter Gewaltanwendung von Bad Homburg vor der Höhe nach Tübingen, ins Autenriethsche Klinikum abtransportiert. Der letzte Eintrag, am 21. Oktober 1806, ins Rezeptbuch der Autenriethschen Klinik, bevor Hölderlin (im Frühjahr 1807) in private Pflege entlassen wird, verzeichnet ein einziges Wort: Spazierengehen.
(Thomas Schestag in: Promenaden in: KOPFlandschaften LandschaftsGÄNGE – Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs, Böhlau 2007)

Leiter

Der Spaziergang
(Hölderlin)

Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt einem das herrliche Bild
Der Lanschaft, die ich gerne
Besuch‘ in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blitzen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.

Ein Palast anstelle des Schlosses anstelle des Palastes …

Samstag, Januar 12th, 2008

Palast

In [Berlin] wird der Reisende eingeladen, die Stadt zu besichtigen und zugleich gewisse alte Ansichtskarten zu betrachten, die zeigen, wie sie früher war: genau derselbe Platz mit dem Huhn anstelle des Autobusbahnhofs, dem Musikpavillon anstelle der Überführung, zwei Fräulein mit weißem Sonnenschirm anstelle der Munitionsfabrik. Um die Einwohner nicht zu enttäuschen, muß der Reisende die Stadt auf den Ansichtskarten loben und sie der heutigen vorziehen, jedoch darauf bedacht sein, das Bedauern im Rahmen genauer Regeln zu halten.
(aus: Italo Calvino Die unsichtbaren Städte)

Echo

Sonntag, Januar 6th, 2008

Echo I

Das ist eine der zwei Echo-Skulpturen (1988) von Bernhard Heiliger am Haupteingang zur Philharmonie am Kemperplatz (hier weitere Bilder von Heiliger-Skulpturen in Berlin).

Zur Illustration der mannigfachen Resonanzen, die in einem Echo vorkommen, haben die alten Griechen die Geschichte von einer schönen Bergnymphe erfunden. Diese hieß Echo, und sie beging den Fehler, Zeus bei einer seiner sexuellen Eroberungen zum Erfolg zu verhelfen. Hera kam dahinter, und sie bestrafte Echo, die fortan nichts mehr sagen konnte als die jeweils letzten Worte, die man an sie gerichtet hatte. Bald darauf verliebte sich Echo in Narziss, der jedoch ausschließlich von sich selbst besessen war, sodass sie sich nach und nach verzehrte, bis einzig ihre Stimme übrigblieb (vielleicht bei Ovid nachlesen … hier).
In einer weniger bekannten Version dieser Sage verliebt sich Pan in Echo. Echo jedoch weist seine amourösen Avancen zurück, und Pan, der ja der Gott der Höflichkeit und Selbstbeherrschung ist, reißt sie in Stücke und begräbt alles bis auf ihre Stimme. Adonta tamele. In beiden Fällen führt unerfüllte Liebe zur vollständigen Auslöschung von Echos Körper und beinahe auch zur Auslöschung ihrer Stimme.
(aus: Mark Z. Danielewski Das Haus)